Günter Berichtet von seinem ersten Marathon mit 68 Jahren




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Günter Berichtet von seinem ersten Marathon mit 68 Jahren

Beitragvon laufmauselke » Mo 15. Okt 2012, 05:17

Per E-Mail habe ich diesen wunderschönen Bericht von Günter erhalten,
und ich habe mich darüber sehr gefreut. Danke, lieber Günter big_kiss

Und vor allen Dingen auch hier nochmal Herzlichen Glückwunsch zu dieser ganz besonderen Leistung. big_blume

Es lohnt sich wirklich, diesen Bericht zu lesen:

Mit dem folgenden kurzen Bericht über den Berlin-Marathon aus meiner Sicht möchte ich einen
Dank an den ganzen Lauftreff Nauen/Falkensee verbinden, in dessen Gemeinschaft ich mich auf
diesen Lauf vorbereitet habe; vor allem danke ich Elke sowie Bianca und Detlev, die vor sieben
Jahren mir, dem damals schon 61-Jährigen und vorher sportlich kaum Aktiven das kleine ABC des
Läufers beigebracht haben! Vielleicht kann ich mit diesem Bericht über meinen ersten Marathon
noch mit 68 Jahren auch Anderen, die sich das Mitmachen im Lauftreff, ja Sport überhaupt nicht
recht zutrauen, Mut machen, es zu versuchen.
Mein M(arathon)-Tag begann -Experten werden die Haare zu Berge stehen- mit einem nicht zu
leichten Frühstück. Meine Frau Brigitte servierte auf meinen speziellen Wunsch reichlich Rührei
mit Speck, hinterher noch Kaffee und Apfelschorle. Der Hungerast hatte insofern kaum eine
Chance. So gestärkt reiste ich zum großen Show-down an. Natürlich alleine! Zwar war ich nicht
ohne Zuversicht, in Berlin das Ziel irgendwie zu erreichen, aber ich hatte auch Zweifel. Erstens: in
m e i n e m Alter ein erster Marathon, und außerdem war ich noch nie weiter als 26 KM gelaufen.
Ich hatte aber keine Lust mehr, zu erklären, wie ich überhaupt auf die Idee gekommen war, an
einem M-Lauf teilzunehmen...
Der Start war verblüffend unspektakulär. Nach schätzungsweise 45 Minuten Warten( tja,und das im
Stehen) in Block H, dem Biotop der Trainingsmuffel und (Herbst)Zeitlosen,nahm ich schließlich
wahr, dass ich im dichten Pulk albernder dänischer Spätwikinger vorangeschoben wurde. Eingekeilt
zwi- schen Touristengruppen aus aller Herren Länder, die als Marathonis num- meriert und
verkleidet zu sein schienen, trottete ich dem Reuter-Platz im Stop-and-Go=Tempo entgegen. Eine
desaströse 10- Stunden- Zeit zeichnete sich ab. Aber im weiteren Verlauf, zwischen Moabit und
Regierungsviertel, wurden wir munterer: das Feld zog sich auseinander und ich fand allmählich in
meinen gewohnten Sechser-Rhythmus, weshalb ich die beiden ersten Versorgungsstationen erst mal
ignorierte.
Aufkommende Monotonie wurde bereits hinter dem Alex durch einen kleinen Schock verdrängt :
kurzer Rempler, ich der Länge nach auf dem Boden; alles schon zu Ende? Aber zwei Holländer
halfen mir wieder auf die Beine, eine Japanerin heftete mir die heruntergerissene Startnummer
wieder an. Schon waren die unbekannten Helfer wieder weg. Ich humpelte, ging und --l i e f . Von
Mitte in Richtung Kreuzberg. Ich suchte Ablenkung, Themen weit weg vom Laufen. So gingen an
der Michaelkirchstraße meine Gedanken zu meiner Tochter Julia, die vor kurzem noch in Berlin,
genau hier gewohnt hat. Ja, Erinnerungen können treiben, bewegen. Hinüber nach Kreuzberg, wo
ich bei KM 16 zwischen 11 und 11.30 meine Frau treffen wollte. Auf dem Gehsteig lief sie mit mir
um die Wette, da ich sie zunächst nicht bemerkt hatte,--ich will es nicht verschweigen: sie hat mich
überholt. Das Handy, bzw. seine Bestandteile, das sie verloren hatte, haben ihr Jogger noch hinterher
getragen.
Als es dann zwischen Kreuzberg und Schöneberg über die Halbmarathongrenze hinausging, habe
ich das zunächst gar nicht mitbekommen. Ich bemühte mich, meinen Rhythmus beizubehalten.
Überraschend dann die nächste Motivationsdusche: eine ´fresh and friendly Company´ junger
Leute machte durch infernalisches, ansteckend fröhliches Gebrüll auf sich aufmerksam,-- unser
Sohn Adrian mit seinen Freunden. Im weiteren Verlauf nahm die volksfestartige Kulisse immer
mehr familiärere Züge an . Ganze Familien machten sich einen Spaß daraus, den wildfremden
„Günter“ anzufeuern, die Kinder streckten uns ihre Hände zum Abklatschen entgegen. Im Vorbeilaufen
nimmt der eigene Blick wie ein Zufallsgenerator Details aus der Menschenmenge hinter
der Absperrung wahr : eine Frau, die ihren wohlgenährten Gatten reichlich kritisch mustert; Junge,
die sich gar nicht mehr kriegen, dass so´n „krass Alter“ da mitläuft; im Rollstuhl einer engagiert und
laut mit Tröthe; im Fenster eines Altenheimes hebt jemand, halb hinter dem Vorhang, den Arm und
winkt doch nicht... viele Gesichter, in denen man jeweils für einen Moment zu lesen beginnt, ein
Fi lm, der immer länger wird, --Bild nur im Blick des Läufers. Mein Sinnieren durchkreuzen Plan
und Familiensinn: der Fehrbelliner Platz rückt näher, und da will ich bei KM 32 meine Frau sehen,
ich will.
Je weiter es nach Steglitz und Südwest geht, je öfter ich an den „Wilden Eber“ denke, an „Hungerast“
und die Rouladen, die mir meine Frau für heute abend versprochen hat, tauchen Zahlen
auf, Kilometerangaben auf euphorisierend leuchtenden High Tech-Schirmen. Aber, wo bin ich,
wieviele bin ich, und wenn ja, laufen wir immer noch? Immer noch auf dem Hohenzollerndamm ?
Und -vor allem- wie lang ist dieser Habsburger- bzw. Hohenzollerndamm überhaupt? Eigentlich ist
er aber fast dem Kudamm ein bißchen ähnlich,--ist das nicht doch der Sch...ku-damm? Tja: er war
es nicht. Mein Oberkörper mitsamt der fünfstelligen Startnummer von diesem globalen Mega-
Ereignis, das kreativ mitzugestalten ich mich -warum nur?- volle 100 Euro hatte kosten lassen,
neigte sich unseligerweise immer mehr nach vorne, mein Blick immer mehr nach unten: eigentlich
sah ich nur noch schwarz, d.h. Asphalt. Irgendwann war er´s dann: unverkennbar Kudamm-
Asphalt. Den kannte ich noch von den Furchen, durch die ich als einer der Unverdrossenen schon
beim denkwürdigen Wolkenbruch- Citynight =Lauf des Jahres 2010 gepatscht war.
Ansonsten nahm ich, gerade weil ich auf die Erhaltung meiner Identität als Läufer großen Wert
legte, eine irritierende Veränderung meines sportlichen Umfeldes wahr: als Läufer wurde ich immer
einsamer, während sich um mich herum immer mehr Artgenossen schon auf dem Kudamm in
Geher (zurück)verwandelten. Ich dagegen blieb Läufer. Zugegebenermaßen versuchte ich es mit
mir, d.h. mit meinem Körper, aber immer wieder im Guten. Und m e i n e kurzen Gehphasen, die
allmählich etwas weniger kurz wurden, dienten natürlich einzig und allein der erneuten
Wiederaufnahme des unverkennbaren Läufer- resp. Marathoni-Modus. Und Stand by-Modus gab
´s nur, wenn ich von der Potsdamer Straße an gelegentlich meine Beinmuskeln massieren oder
meine Schultern lockern mußte. Leider erbrachte selbst meine erprobte Methode ´Bewegung durch
Kultur´ nur noch inakzeptable Ergebnisse: ich verschwendete sogar wertvolle mentale Energie an
das Nachdenken über die Dauerkrise der Habsburgermonarchie und die nichtvorhandenen Reime
Hölderlin´scher Lyrik, die mir nicht einfielen. Aber dass ich mein ehemaliges Büro in der
Mohrenstraße als (fast schon) frischgebackener Marathoni passieren konnte und dass mich gleich
danach am Gensdarmenmarkt unverhofft ein Lauftreff-Trio anfeuerte. Das machte mir wieder
Beine. In der Glinkastraße holte ich noch mal Schwung, der mich um die Adlon-Ecke auf die
Linden und -das gibt’s nur einmal?- durch´s Brandenburger Tor in ´s Ziel trug. Mit meiner
Medaille blieb ich -das tat mir nach einem 4 Stunden 58 Minuten- Lauf sowieso gut- noch ein
wenig abseits stehen. Den Blick auf Läufer und Tor, auf Menschen am Ziel, hätte ich gerne -ja,
doch- auswendig gelernt. Aber alles erlebte ich noch einmal: ich durfte es meiner Familie, mit der
ich mich um eine Stunde zu spät am Ziel verabredet hatte,´ nach-erzählen´.
Liebe Grüße
Elke
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Re: Günter Berichtet von seinem ersten Marathon mit 68 Jahre

Beitragvon Ika- Rudina » Mo 15. Okt 2012, 05:39

Vielen Dank für diesen Bericht.
Ich musste dabei immer an meinen HH M denken.
Herzlichen Glückwunsch big_super zu dieser tollen Leistung.
Und die Zeit kann sich auch sehen lassen.
Liebe Grüße
Erika
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Re: Günter Berichtet von seinem ersten Marathon mit 68 Jahre

Beitragvon myway » Mo 15. Okt 2012, 09:50

Herzlichen Glückwunsch lieber Günther!

Ein toller Bericht. Ein toller Lauf.
Interessant zu lesen, womit du dich so beschäftigt hast beim Laufen. Mit Lyrik hab ich mich noch nicht beschäftigt.
Du hast jedenfalls alles richtig gemacht. Gratulation!

Und Respekt! Das macht dir mit 68 Jahren so schnell keiner nach...

Liebe Grüße
Markus
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Markus
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Re: Günter Berichtet von seinem ersten Marathon mit 68 Jahre

Beitragvon Susi » Mo 15. Okt 2012, 11:11

Nu' hetz' ihn nicht... ;)
Lieber Günter, das ist ein klasse Bericht! Du hast so anschaulich Deine Eindrücke geschildert, ich hatte ein dickes Grinsen auf dem Gesicht beim Lesen.
Ist doch immer erstaunlich, was einem so durch den Kopf geht. Mit den Gedanken eines Marathons könnte man immer ein Buch füllen, oder? (Leider vergisst man das meiste ja wieder)
Lieben Gruß,
Susi
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Re: Günter Berichtet von seinem ersten Marathon mit 68 Jahre

Beitragvon Laufsoeckchen » Mo 15. Okt 2012, 14:53

Der Bericht einfach Spitze, so, wie der ganze Mann. Auch ich musste beim Lesen viel schmunzeln. Irre, was du geleistet hast, lieber Günter, da kann man nur den Hut ziehen und sich verbeugen.

Liebe Grüße
Bianka
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Re: Günter Berichtet von seinem ersten Marathon mit 68 Jahre

Beitragvon Asphaltcowboy » Di 16. Okt 2012, 21:08

Lieber Günther,
ein toller Bericht. So kann ooch nur nen (alter (grins, grins)) Prof. schreiben.
Aber mal ehrlich, was sind denn für einen Läufer schon 68 Jahre...-
Man müsste ehr fragen, wie konntest du all die Jahre vor deinem 61 Lebensjahr, ohne Laufen Leben?
Es hat Spass gemacht ihn zu lesen heildir
Herzlichen Glückwunsch zu deinem ersten M jedenfalls. :respekt: SUPER
Und wird es der erste und letzte gewesen sein?? ich glaube doch nicht.
wav
Zuletzt geändert von Asphaltcowboy am So 21. Okt 2012, 05:35, insgesamt 1-mal geändert.
Liebe Grüße Peter
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Re: Günter Berichtet von seinem ersten Marathon mit 68 Jahre

Beitragvon PaulPinglich » Sa 20. Okt 2012, 23:01

Hallo Günter, auch meinen Respekt vor Deiner vollbrachten Leistung sollst Du erhalten. big_super

Matthias
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